Sie werden bald feststellen: Im Deutsch der Mosel fallen die Verben „nehmen“ und „holen“ zusammen. Die Moselfranken nehmen sich nichts, sie holen sich nur. Durch Radeln und Wandern „holen“ Gäste das ein oder andere Kilogramm ab. Mit leckerem Essen in einer der zahlreichen Straußwirtschaften sind diese Kilos aber auch leicht wieder „zugeholt“, also: zugenommen. Ihre Pensionswirtin bietet Ihnen vielleicht an: „Holen“ Sie doch ein Lunchpaket auf Ihre Calmontwanderung mit! Sie werden es bei Ihrem Urlaub überall erfahren: Die Moselfranken sind herzlich, und in jedem Moseldorf finden Sie Gastgeber, die Sie herzlich „aufholen“, also: aufnehmen.
Die Moselbewohner sind außerdem recht freigiebige Menschen – besonders was ihre Sprache angeht. Fast in allen dörflichen Dialekten entlang des Flusses fehlt das Verb „werden“. Stattdessen wird „geben“ sehr gerne genommen – oh pardon! eher gerne „geholt“. Während man im Hochdeutschen mit jedem Wanderkilometer sportlicher und gesünder „wird“, heißt es im Moseldeutsch: Ich „gebe“ immer fitter. Und an jedem Geburtstag „gibt“ man ein Jahr älter. Kranken wünscht man: „Gib“ bald wieder gesund. In den moselanischen Weinkellern „gibt“ natürlich so manches Gläschen – oder eher: „Gläsje“ – Riesling geleert. Aber Vorsicht: Unliebsame Gäste laufen Gefahr, auf die Straße gesetzt zu „geben“.
Natürlich geben sich die Moselfranken allergrößte Mühe mit Ihnen perfektes Hochdeutsch zu sprechen – aber Sie werden hören: Das gelingt Ihnen glücklicherweise nicht immer, und somit bemerken Sie als Gast doch die ein oder andere liebenswürdige sprachliche Besonderheit, die unsere Heimat ausmacht.
© Text: Dr. Yvonne Treis